Demenz – weder heilbar noch aufhaltbar

    Demenz verbreitet sich immer mehr. Die Krankheit ist für Erkrankte und Angehörige sehr belastend. Unterstützungsmöglichkeiten sind daher ein grosses Bedürfnis des Umfeldes der Erkrankten. Alzheimer Schweiz informiert, berät und unterstützt Menschen mit Demenz und deren Angehörige. Direktorin Dr. Stefanie Becker über Symptome, Früherkennung, den Umgang im Alltag mit der Krankheit sowie die Unterstützung der Angehörigen.

    (Bild: Pixabay) Das grosse Vergessen: Demenz ist mittlerweile zu einer regelrechten Volkskrankheit geworden. Praktisch jeder wird im Laufe seines Lebens damit konfrontiert – sei es als Patient oder als Angehöriger. Weil die Schweiz immer älter wird, nimmt in den nächsten Jahren die Anzahl Betroffener sogar noch stärker zu.

    Aktuell leben 153’000 Menschen mit Demenz in der Schweiz. Ist unser Land stark von Demenzerkrankungen betroffen oder wie muss man dies einordnen?
    Dr. Stefanie Becker: Wir werden immer älter, nicht nur in der Schweiz, sondern global. Aufgrund der demografischen Entwicklung und weil das Alter der grösste Risikofaktor ist, wird die Anzahl Menschen mit Alzheimer oder einer anderen Demenzform weiterhin steigen. Gemäss unseren Prognosen rechnen wir, dass im Jahr 2050 in der Schweiz über 315’000 Menschen mit einer Demenz leben.

    Demenzerkrankungen sind bis heute nicht heilbar und haben als chronische Erkrankungen einen fortschreitenden Verlauf. Weshalb ist Prävention sehr wichtig?
    Weder ist eine Demenz derzeit heilbar, noch lässt sie sich aufhalten. Heute wissen wir jedoch, dass sich mit einem gesunden Lebensstil und der frühzeitigen Behandlung von Gesundheitsproblemen bis zu 40 Prozent der Demenzerkrankungen verhindern lassen. Aber auch wenn es keine 100-prozentige Sicherheit gibt, kann jeder sein Risiko senken, an Demenz zu erkranken. Aus Sicht von Alzheimer Schweiz ist es deshalb dringlich, dass die Bevölkerung über die Möglichkeiten der Demenzprävention aufgeklärt wird.

    Was sind die grössten Risikofaktoren, die Alzheimer und andere Demenzformen begünstigen?
    Mit dem Alter steigt das Risiko, an Demenz zu erkranken. In ca. 3 bis 5 Prozent der Fälle liegt eine genetische Veranlagung vor. Aktuelle Forschungen zeigen, dass es spezifische Risikofaktoren für Frauen geben könnte, die zu einem erhöhten Risiko führen. Daneben gibt es Risikofaktoren wie Hörverlust, Bluthochdruck, Adipositas, Rauchen, Bewegungsmangel oder soziale Isolation, die wir selbst beeinflussen können. Die rechtzeitige Behandlung von Gesundheitsproblemen und ein gesunder Lebensstil sind daher wesentlich, um einer Demenzerkrankung vorzubeugen.

    Wenn ich wiederholt nach der verlegten Brille suche oder an einem sonst geläufigen Namen herumstudiere, bedeutet das nicht unbedingt, dass ich Demenz habe?
    Es ist normal, dass wir ab und zu etwas vergessen. Dies allein ist noch kein Anzeichen für eine Demenz. Ist die Vergesslichkeit jedoch zunehmend ausgeprägt, findet jemand vermehrt das passende Wort nicht mehr, oder werden geläufige Tätigkeiten wie etwa Rechnungen bezahlen plötzlich schwierig, kann dies auf eine Demenz hinweisen. Wichtig ist dann eine fachärztliche Abklärung, um auch mögliche andere, behandelbare Ursachen auszuschliessen.

    (Bild: zVg) Direktorin Dr. Stefanie Becker: «Wir setzen uns gemeinsam mit unseren 21 kantonalen Sektionen für eine gute, niederschwellige und wohnortsnahe Versorgung von Demenzbetroffenen ein.»

    Was sind die grössten Anliegen der pflegenden Angehörigen?
    Für betreuende Angehörige ist es wichtig, dass sie sich zu Unterstützungsmöglichkeiten orientieren können, um das Leben mit den Erkrankten von Anfang an gut gestalten zu können. Beratung, Information und Begleitung durch demenzspezifische Fachpersonen bei unseren 21 Sektionen von Alzheimer Schweiz helfen, wichtige Entscheidungen zu treffen. Angehörige benötigen zudem Entlastung, um nicht selbst krank zu werden und als Helfende auszufallen.

    Können Sie kurz schildern wie eine Demenz-Abklärung abläuft?
    Die erste Einschätzung möglicher Symptome kann beim Hausarzt erfolgen. Bei Verdacht empfiehlt sich eine Abklärung in einer Memory Klinik. Eine Abklärung umfasst neuropsychologische Tests wie auch bildgebende Verfahren, beispielsweise ein MRI. Ebenso gehören Gespräche mit den Angehörigen und mit der erkrankten Person dazu. Auch wenn der Schritt schwerfällt, eine frühzeitige Abklärung lohnt sich. Sie schafft Klarheit und bietet Betroffenen die Chance, ihr Leben mit der Erkrankung selbstbestimmt zu planen.

    Wann ist der Zeitpunkt für eine Person mit Demenz, ins Heim zu ziehen?
    Einen «richtigen» Zeitpunkt gibt es nicht. Leider erfolgt ein Umzug oft erst, wenn die Angehörigen bereits am Ende ihrer Kräfte sind oder ein Notfall eintritt. Wir raten daher externe Unterstützungsangebote wie etwa Ferienbetten oder Tagesangebote schon zu nutzen, wenn die erkrankte Person noch zu Hause lebt. Wichtig ist, sich frühzeitig mit dem Thema auseinanderzusetzen, zum Beispiel auch gemeinsam mit unseren Beraterinnen vom Alzheimer-Telefon (058 058 80 00). So kann eine Wahl der Einrichtung erfolgen und der Schritt fällt leichter. Eine gute Orientierung und hilfreiche Tipps sind auch in unserem Informationsblatt «Der Heimeintritt für Menschen mit Demenz zu finden» (alz.ch/publikationen).

    Wie sieht das politische Engagement von Alzheimer Schweiz aus?
    Wir engagieren uns für demenzinklusive gesundheits- und sozialpolitische Rahmenbedingungen. Dazu bringen wir die Interessen von Demenzerkrankten und Angehörigen auf politischer Ebene ein, tauschen uns mit Verwaltung und Politik aus und äussern uns auch im Rahmen von Vernehmlassungen. Mittels strategischer Partnerschaften verstärken wir unsere Stimme und als Leitungsmitglied der Nationalen Plattform Demenz bringen wir Themen direkt beim BAG ein.

    Gemäss Alzheimer Schweiz braucht es eine bessere Unterstützung der Angehörigen. Wie soll diese Unterstützung konkret aussehen?
    Angehörige leisten gemäss unserer Demenzkostenstudie jährlich unbezahlte Betreuungsarbeit von insgesamt 5.5 Milliarden Franken. Häufig sind sie rund um die Uhr gefordert und deshalb am Ende ihrer Kräfte. Es braucht deshalb dringend flächendeckend geeignete und bezahlbare Entlastungsangebote wie Tageszentren und Nachtbetreuung. Zudem müssen Erwerbsarbeit und Angehörigenbetreuung besser vereinbar und ohne Lohneinbussen möglich sein. Auch deshalb, weil Betreuungsarbeit wiederum zu einer Lücke bei der Altersvorsorge der Betreuenden führt. Zudem muss die ambulante und stationäre Betreuung sowie Pflege einheitlich finanziert werden, damit allen Demenzerkrankten die jeweils für sie am besten geeignete Möglichkeiten offenstehen. Mit Blick auf die zunehmende Mobilität sollte auch die freie Wahl eines Pflegeheims über die Kantonsgrenzen hinaus möglich und finanzierbar sein.

    Demenz verursacht jährlich 11,8 Milliarden Franken direkte und indirekte Kosten laut der «Alzheimer Schweiz Demenzkostenstudie 2019». Wie sieht eine faire und nachhaltige Pflegefinanzierung aus?
    Bei Menschen mit Demenz sind krankheitsbedingte Betreuungsleistungen bereits viel früher notwendig als pflegerische Leistungen. Sie bleiben auch mit der Pflege notwendig. Die Grundversicherung übernimmt diese Leistungen jedoch nicht. Als Zusatzversicherungen sind sie Personen vorbehalten, die sich eine solche leisten können. Demenz-, d.h. krankheitsbedingte Betreuungsleistungen und Entlastungsmöglichkeiten müssen deshalb zwingend durch die Grundversicherung abgedeckt und allen Demenzerkrankten zugänglich sein.

    Seit 2021 organisiert Alzheimer Schweiz zusammen mit Public Health Schweiz jährlich eine Nationale Demenzkonferenz. Die nächste Nationale Demenzkonferenz findet am 30. April 2024 statt. Welche Idee steckt dahinter?
    Eine qualitativ hochstehende Demenzversorgung ist multiprofessionell. Ziel war es, eine nationale, multiprofessionelle Austauschplattform zu schaffen, um einen Beitrag zur Demenzversorgung in der Schweiz zu leisten. Mit der Nationalen Demenzkonferenz bieten wir Ärztinnen, Pflegefachpersonen und weiteren Berufspersonen genau diesen Wissenstransfer und den Erfahrungsaustausch. Am 30. April 2024 findet sie bereits zum 4. Mal statt, mehr dazu findet man auf der Website: www.nationale-demenzkonferenz.ch.

    Was sind weitere Projekte und Anliegen von Alzheimer Schweiz?
    Wir setzen uns gemeinsam mit unseren 21 kantonalen Sektionen für eine gute, niederschwellige und wohnortsnahe Versorgung von Demenzbetroffenen ein. Besonders stolz sind wir auch, dass wir Mitte 2023 die Plattform www.alzguide.ch starten konnten. Sie bündelt erstmals in der Schweiz demenzspezifische Angebote auf einer einzigen Website und erleichtert damit die Suche für die Betroffenen wesentlich.

    Interview: Corinne Remund


    Alzheimer Schweiz ist ein gemeinnütziger Verein mit über 10’000 Mitgliedern und rund 130’000 Gönnerinnen und Gönnern. Die Organisation ist in jedem Kanton mit einer Sektion vertreten. Seit über 35 Jahren unterstützt Alzheimer Schweiz kompetent Menschen mit Demenz, ihre Angehörigen und Fachpersonen aus der Pflege und Betreuung. Aktuell leben 153’000 Menschen mit Demenz in der Schweiz. Jährlich kommt es zu 32’900 Neuerkrankungen, das heisst alle 16 Minuten erkrankt jemand neu an Alzheimer oder einer anderen Demenz. 66 Prozent der Menschen mit Demenz sind Frauen. Über 7800 Menschen, rund 5 Prozent aller Menschen mit Demenz, erkranken vor dem 65. Lebensjahr. Im Jahr 2050 sind voraussichtlich 315’400 Menschen an Demenz erkrankt, denn der grösste Risikofaktor ist das Alter. Mehr Informationen, Beratung und Entlastungsangebote findet man bei Alzheimer Schweiz: www.alz.ch

    Swiss Memory Clinics ist der Verein der spezialisierten Kliniken mit Schwerpunkt Demenz und Gedächtnissprechstunden. Ziel ist es, die Diagnose- und Behandlungsqualität bei Demenzerkrankungen schweizweit auf hohem Qualitätsniveau zu etablieren. Entsprechend dieser Zielsetzung verpflichten sich die Mitglieder Qualitätsstandards einzuhalten. Darüber hinaus fördert der Verein die Informations- und Wissensvermittlung und die Interdisziplinarität. www.swissmemoryclinics.ch

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